Paraphrase zu Farbe (Luisa Kasalicky)und
Nicht-Farbe
(Manuel Knapp)

1. Die Historia1 galt der alten Malerei als die höchste Form der Kunst, als das Werk schlechthin. Das Verfahren, ein solches kunstgerecht zu erreichen, nannte man Komposition, welche darin bestand, die Teile zu einem schlüssigen Ganzen des Vorgangs zusammenzubinden. Analytisch beschreibt Leon Battista Alberti: „Teile der Historia sind die Körper; Teil des Körpers ist das Glied; Teil des Gliedes ist die Fläche."2 Alberti dringt in seinem Traktat zur Malerei, welche sich ganz der korrekten Darstellung der Perspektive verpflichtet sah, schließlich bis zur Fläche vor, als jenem letzten Teil, aus dem in umgekehrter Richtung alles übrige wieder zu gewinnen ist: „Die ersten Teile des Werkes sind also die Flächen, weil aus diesen die Glieder, aus den Gliedern die Körper, aus diesen die Historia zur Vollendung gebracht werden."3 Alberti erkennt die Fläche zwar als letzte Instanz, d.h. als Element der Malerei an, wagt aber keinesfalls die Fläche selbst als etwas zu Erreichendes zu thematisieren. Sie ist für ihn ein Fundament und nicht ein Ziel der Malerei.
Und doch, Alberti erscheint in manchen seinen Äußerungen höchst modern, als sein analytischer Blick ihn dazu führt, alles Sichtbare aus farbigen Pixeln (Flächen) zusammensetzbar zu erfassen, ein Verfahren, das heute Gang und Gebe ist. So schreibt er, wir stellen „doch an ebenen Flächen fest, wie sie gekennzeichnet sind durch Lichter und Schatten, die in eigenartiger Verteilung auf ihnen ruhen; ebenso nehmen wir an kugelförmigen und gehöhlten Flächen wahr, dass diese sich aufgrund verschiedener Flecken, gebildet von Schatten und Licht, gleichsam in eine Vielzahl viereckiger Flächen auflösen."4 Alberti also ein Vorläufer der Moderne, eine Vorwegnahme impressionistischer und pointilistischer Verfahren und der modernen Pixeltechnik?
Der Versuch der Künstler, die Malerei aus ihren Elementen herauszubilden, hat eine lange Tradition, allerdings mit höchst verschiedener Intention. Denn wie anders stellen sich die Absichten in „Punkt und Linie zu Fläche" von Kandinsky dar? Eine zur Autonomie der Elemente gebildete Verständnisweise, wie sie mit der frühen Moderne einsetzt, war Alberti gänzlich fremd. Sie ist auch heute noch den meisten fremd und kann folglich auch nicht für diese zur Basis eines weiterführenden Gedankens werden.
Zu den Elementen der Malerei zählen natürlich nicht nur die Fläche, die Linie und der Punkt, wobei letzterem schon eher ein untypisches Dasein zufällt, sondern das Allerwichtigste und Elementarste der Malerei scheint seit jeher die Farbe zu sein. Was wäre Malerei, was ein Bild - so fragen sich doch viele - ohne Farbe, was ohne einen Pinselstrich, ohne die fetten und mageren Aufträge, die erkennbaren durch Werkzeuge gebildeten Spuren? Dafür kannten schon die alten Römer einen Ausdruck: „effigies", das plastisch gestaltete, gewischte und gestrichene Bild. Aber, und dies ist im besonderen hervorzuheben, dem gestischen Verlangen das erst nach und nach als etwas Autonomes und Eigenes des Künstlerischen begriffen wird und zur Autonomie der Geste führt, steht ein homogenes entgegen, das in seinem Verlangen, alle handwerklichen Spuren zu tilgen und zu löschen, zur Autonomie der Ebene führt. Im modernen Verständnis der Begriffe und der Autonomie der Dinge wie Prozesse, stehen beide als Gegensätze da, als Gegensätze, die ebenso wie im Verlangen nach Anhäufung von Material und nach Beschränkung von Form, in Verdichtung von Struktur und in Erweiterung des Mediums, in Zerstreuung und Konzentration, in Verdinglichung und Entmaterialisierung dialektisch und dialogisch zum Ausdruck kommen. Warum also nicht auch Farbe und Nicht-Farbe?
Längst ist eigentlich klar, dass sich die Malerei nicht beschränkt auf das klassische Leinwand- und Tafelbild und sich nicht kleinkrämerisch einschränkt auf Pasten und Tuben, sondern ausgedehnt und erweitert alles Mediale integriert und sich in diesem oder jenem konzentriert, worauf es eben ankommt. Längst schon ist klar, dass das Bild ebenso als ein spezifisches Objekt (D. Judd) erkennbar ist, das sich dreidimensional in den Raum exponieren, sich inszenieren, sich legen, lehnen, stellen, hängen und überhaupt neu sich konstellieren kann. Und längst schon sollte erfassbar sein, dass die Farbe, die Fläche, der Körper und der Raum selbst eine Historia bilden, ein Ereignis und ein Geschehnis darstellen, in dem nicht ein Vorgang von etwas ganz anderem geschildert wird, sondern sie selbst die sprechende Geschichte sind, die Geschichte im Sinne des räumlich und zeitlich, strukturell und stofflich Geschichteten , eben etwas Gebildetes und ein Bild sind.
Der neuzeitliche Bildbegriff der Renaissance, der von Alberti wesentlich mitgeprägt wurde, stellte gegenüber dem älteren der Gotik eine extreme Kontrastierung vor, in dem das Bild als Fenster und als Öffnung in den korrekt perspektivisch sich gebenden Raum konzipiert ist, wobei unter dem Bild eben der ebene Schnitt durch die Sehpyramide verstanden wurde. Das zur Fläche tendierende Bild der frühen Moderne zerschneidet zunächst nur zum Teil das Bild als Fenster, indem dieses Moment am Bilde aufgelöst in polyperspektivische Blicke und dann in differierende Zeitmomente gepackt wird, wie im Kubismus und Futurismus. Danach erst wird das Bild zu einem in sich gehaltenen Gefüge der Flächenspannung. Der sich damit bildende Flachraum schließt das Fenster der Renaissance, in dem die ?andere' Historia sich dem Blick der Betrachter öffnen konnte. War das Velum , das Fadengitter der älteren Malerei, ein im Bild selbst nicht mehr sichtbares Hilfsinstrument zur korrekten Darstellung der Gegenstände im Raum, so konnte sich nun und erstmals ein in sich bewegliches und sich zeiträumlich konstituierendes Gitter im Bild thematisieren, allein dem Geschehen, der eigenen Historia des Bildes verpflichtet. Das Bild wurde endlich als ein in sich selbständig geführter und aus sich selbst heraus leitender Prozess begriffen. In diesen kann sich Farbe und Nicht-Farbe stellen, Elementares in Elementares.

2. „Farbe und Nicht-Farbe" bezeichnet keinen - sozusagen dem üblichen philosophischen Sprachgebrauch nach - kontradiktorischen Gegensatz , d.h. einen (beharrlichen) Widerspruch oder auch einen Gegensatz, in dem durch Position und Negation des Begriffs ein diese Begriffe Verbindendes und Gemeinsames ausgeschlossen ist. Denn, nach diesem Verständnis folgt: was keine Farbe ist (eben nicht Farbe oder Nicht-Farbe ist ), kann unmöglich eine Farbe sein. Angenähert wären wir demnach schon, wenn wir zumindest nach dem üblichen philosophischen Sprachgebrauch, diesen Gegensatz als etwas Konträres begriffen. In einem konträren Gegensatz wie Schwarz und Weiß , kann nämlich durchaus ein Mittleres und mannigfaltiges Drittes, d.h. die beiden Teile des Gegensatzes Verbindendes existieren. So wäre das Mittlere und die Gegensätze Weiß und Schwarz Verbindendes eben ein Grau . Grau mildert die sonst so starke Wirkung dieser Farben auf unser Auge ab. Es nimmt ihnen etwas von der sich gegenseitig fordernden Wirkung und von der sich aneinander reibenden Kraft. Man nennt diese Extreme auch, weil sie sich gegenseitig optisch fordern und bedingen, einen komplementären und in ihrer Wirkung sich ergänzenden Gegensatz.
Allein nun daraus, dass nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch Pink (Magenta) und Grün, desgleichen Gelb (Citrus) und Blau (Ultramarin) im Auge sich zu einem Ganzen des Eindrucks verbinden können, wird schon deutlich, dass es mehr als einen solchen vergleichbaren Gegensatz innerhalb der Farben gibt. Aber sie alle zeigen das Verhängnis, dass sie in einer integrierten Mischung von Pigmenten, sich bloß zu einem ihre bunten Werte auslöschenden unbunten Grau vermengen können; d.h., dass ihre Wirkung im sie verbindenden Dritten, nichts von einem Wert- Erhaltenden zeigt. Und in diesem Sinne werde der Gegensatz von Farbe und Nicht-Farbe eben nicht begriffen, sondern genau anders herum, dass durch den Gegensatz in einem verbundenen Dritten ihr sie umspannender Wert sich eben nicht tilgt, sondern aufs Neue gewinnt und erweitert, was bedeutet, dass sich im Dritten und zu ihnen: Gleichartiges und Verschiedenes stellt. Innerhalb der bunten Farben bilden nun eben nur jene Farben solche Gegensätze, aus denen - ohne, dass diese miteinander im unmittelbaren Sinne verwandt zu nennen wären - weitere bunte Farben folgen können, ebenso wie man aus Gelb und Türkis (Cyan) in der subtraktiven Mischung ein Grün oder, aus Blau und Rot in der additiven Mischung ein Pink gewinnt. Denn solche einander entgegengestellten Farben erscheinen dem Auge keineswegs verwandt, sondern bilden einen Gegensatz in maximaler Buntkraft, welchen Gegensatz man am geeignetsten einen polaren Gegensatz der Farben nennt. Polaritäten können in einem Dritten zu etwas Gleichartigem und Neuen verbunden werden und zwar im Gegensatz zu Komplementaritäten innerhalb der bunten Farben. Innerhalb der Farben erscheint nämlich der dialektische Widerspruch und Gegensatz gelöst, der nämlich ein sich aufhebender Widerspruch und Gegensatz im doppelten Sinne des Wortes „aufheben" ist, d.h. in Fundament und Form sich im Weiterschreiten erhält und tilgt.
Begreifen wir demnach Farbe und Nicht-Farbe in einem solchen Sinne der Polarität, so können und dürfen wir gespannt sein, inwieweit Malerei in sich und daraus, autonom und frei verbunden, sich neu figuriert. Nicht-Farbe für sich ist ein autonomes und elementares Feld. Farbe für sich ist ein autonomes und elementares Feld. Sie können sich eben frei zusammenführen.
Damit lasse ich meine Paraphrase ausklingen.

3. Nachschlag: „Errors interessieren mich weit mehr. Die Fehler sind es, die mich überzeugen und die ich ausscheide, um sie zu verfolgen, an denen ich gewinne." (Frei nach Manuel Knapp zum Begriff des künstlerischen Experiments und zum Trial-Error Prinzip.) Eine Umkehr des Experimentalprinzips, in dem die Schlechten nicht ins Töpfchen und die Guten nicht ins Kröpfchen, nach dem üblichen Verfahren geordnet werden. Methodisch ist darum nicht weniger dieses unübliche Verfahren; es ist nur vielmehr zugespitzt auf Erfahrung , auf Erfindung und Entdeckung zugleich. In dem was Nicht-Farbe ist und sich darin etwas konzentriert, öffnet sich der Raum der Farben, der strukturiert das Imaginäre zum Realen , das Imaginäre zum Boden, zur Wand, zur Oberfläche stellt.
Die Hand spüren in den Materialien und Stoffen, die fast ganz industriell gefertigt wurden, allerdings fast nur und das heißt: früher nur mehr als jetzt noch von der Hand begleitet waren." (Frei nach Luisa Kasalicky zum Begriff des künstlerischen Findens.) Dem Glatten des Industriellen die spürbare Hand entgegenstellen, dem was Nicht-Farbe ist, die Farbe geben, dem was Farbe ist, die Nicht-Farbe nehmen.

Ingo Nussbaumer

 

1 der Vorgang, das Ereignis, das Geschehen, die Begebenheit, die Geschichte
2 Leon Battista Alberti, Das Standbild - Die Malkunst - Grundlagen der Malerei, Herausgegeben von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin unter Mitarbeit von Kristine Patz, Darmstadt 2000,   Seite 253
3 ebenda, Seite 257
4 ebenda, Seite 251

Ingo Nussbaumer
Künstler, Farbforscher und Kunsttheoretiker. Lebt und arbeitet in Wien. Publikationen unter anderem: Malerei als Proposition (Triton Verlag, Wien 1997) und Die Idee des Bildes - als Beitrag zu einer Noetik der Kunst (Edition Splitter, Wien 2002)